Rund 200 Fachleute von Universitäten, Kirchen und Schulen sowie Eltern- und Schülervertreterinnen und -vertreter haben im Rahmen eines Symposions im Hannover Congress Centrum über die Einführung eines gemeinsam verantworteten christlichen Religionsunterrichts (CRU) beraten. Im Mai 2021 hatten die evangelischen Kirchen und katholischen Bistümer in Niedersachsen einen Beratungsprozess initiiert mit dem Vorschlag, den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht zu einem gemeinsam verantworteten christlichen Religionsunterricht weiterzuentwickeln.
Unterstützung vom Minister
Kultusminister Grant Hendrik Tonne unterstützte in seinem Grußwort das geplante Modell. „Ich finde diesen Weg ausgesprochen mutig und richtig“, sagte er. Der in Niedersachsen eingeschlagene Weg sei bundesweit einzigartig und aus religionspädagogischer und demografischer Sicht sinnvoll, so Tonne. Viele Lehrkräfte, Schüler und Eltern wünschten sich einen solchen Schritt. Er werfe aber zahlreiche organisatorische Fragen auf. Das Kultusministerium werde alle die Vorschläge der Kirchen konstruktiv prüfen, versicherte Tonne. Er betonte, dass der Religionsunterricht für ihn nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen untrennbar zum Bildungsauftrag gehöre. Im Religionsunterricht würden viele Fragen angesprochen, die für die Persönlichkeitsbildung von Kindern und Jugendlichen relevant seien.
In seiner Begrüßung zu Beginn der Veranstaltung hatte der Oldenburger Bischof Thomas Adomeit als Ratsvorsitzender der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen betont, dass es in der sich aktuell schnell verändernden Schullandschaft notwendig sei, den Religionsunterrichts weiterzuentwickeln. Die Neuausrichtung sei jedoch „ein komplexes Unterfangen“, das nur gemeinsam mit allen am Religionsunterricht Beteiligten möglich sein werde.
Im ersten Teil der Veranstaltung skizzierten und bewerteten Expertinnen und Experten die bisherigen Ergebnisse und Erkenntnisse aus dem Beratungsprozess. So stellte der Freiburger Juraprofessor Ralf Poscher sein juristisches Gutachten vor, in dem er die Verfassungsmäßigkeit des geplanten Unterrichtsfaches bewertet hatte. Er war dabei zu der Einschätzung gekommen, dass „in Niedersachsen sowohl die organisatorischen wie auch die personellen und pädagogischen Voraussetzungen für die Einführung eines gemeinsam verantworteten christlichen Religionsunterrichts gegeben“ seien.
Zuvor hatten die Religionspädagogen Henrik Simojoki (Humboldt-Universität zu Berlin) und Konstantin Lindner (Universität Bamberg) den bisherigen Beratungsprozess dargestellt, den sie als externe Experten wissenschaftlich begleiten. Sie stellten dabei heraus, dass Transparenz und eine möglichst breite Beteiligung entscheidend seien für den weiteren Beratungsprozess. Wichtig sei es zudem, auch orthodoxe und freikirchliche Perspektiven bei der Konzeption des CRU zu berücksichtigen. Dass der weitere Fahrplan für die Einführung mehr Zeit vorsehe als ursprünglich geplant, bewerteten sie ebenfalls positiv.
Zeit für ökumenisches Lernen
Die ökumenischen Beziehungen nahmen Dorothea Sattler, Direktorin des Ökumenischen Instituts an der Universität Münster, und Martin Hailer, Professor für Evangelische Theologie und Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, in den Blick. Sie wiesen dabei auf die Frage hin, inwieweit der Christliche Religionsunterricht für alle christlichen Kirchen geöffnet werden könne. „Es ist Zeit für eine neue Form ökumenischen Lernens, bei der die ökumenisch gebildete Lerngruppe miteinander das gesamte Leben unter der Perspektive des gemeinsamen christlichen Glaubens bedenkt. Der Religionsunterricht gewinnt durch seine ökumenische Öffnung an geistlicher Tiefe und existenzieller Dichte“, sagte Dorothea Sattler.
Der katholische Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer, betonte, ein neues Fach CRU sei eine Chance in einer Zeit, in der die Zahl der Christinnen und Christen abnehme. „Wir können nur Zeugnis geben, wenn wir zusammenstehen“, so Wilmer. „Es geht nicht um eine Verwischung der Unterschiede zwischen den Konfessionen, sondern darum, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen für die Zukunft der Gesellschaft.“ Tradierte Vorurteile und Stereotypen müssten und könnten dabei überwunden werden.
Die abschließenden fachwissenschaftlichen Impulse, bevor alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Nachmittag in moderierte Perspektivgespräche gingen, kamen von Prof. Dr. Bernd Schröder (Göttingen) und Prof. Dr. Mirjam Schambeck (München). Sie gingen auf den geplanten CRU im sich verändernden schulischen Kontext ein. Dabei machten sie deutlich, dass der CRU anders als in Europa stark verbreitete religionskundliche Unterrichtsmodelle am Modell der transparenten Positionalität festhält und es gleichzeitig passungsfähiger macht.
In den anschließenden Diskussionsgruppen setzten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer damit auseinander, welche unterschiedlichen Perspektiven der CRU für Schülerinnen und Schüler, für die Lehramtsstudiengänge und den Vorbereitungsdienst, die Kooperationen mit anderen Religionen oder für die Ökumene eröffnen wird. Die Ergebnisse fließen ein in die Weiterarbeit, die in vier Phasen geplant ist.
Entscheidung bis Mitte 2023
Bis Mitte 2023 soll es eine endgültige Entscheidung der beteiligten Kirchen geben und einen Konsens zu wesentlichen Fragen der Einführung mit dem Land Niedersachsen. Dabei sollen die konfessionell gebundenen Lehramtsstudiengänge für Evangelische und Katholische Theologie an den etablierten Standorten ebenso erhalten werden wie die Seminarstandorte für die zweite Phase der Ausbildung von Religionslehrkräften.
Bis Ende 2023 ist vorgesehen, die inhaltlichen, rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen zu klären. Von Februar 2024 bis Mitte 2025 sollen die didaktisch neu konzipierten Kerncurricula für das Unterrichtsfach CRU erarbeitet werden sowie neue Schulbücher und Unterrichtsmaterialien. Ebenfalls soll in dieser Phase die Begegnung von evangelischen und katholischen Religionslehrkräften gefördert werden.
Ab dem Schuljahr 2025/2026 könnte auf Beschluss des Landes Niedersachsen mit der Einführung des CRU an den Schulen begonnen werden, wobei die Einführung abhängig von der Schulform zum Teil auch schrittweise erfolgen soll.
Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen / Katholisches Büro Niedersachsen